Bilder und Videos enthalten viel mehr Informationen, als sie ein Chirurg verarbeiten kann. Er muss sich zwangsläufig in einen "Tunnel der vorrangig relevanten Informationen" begeben, um mit dem ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die Operation zu absolvieren. Doch, je besser die Qualität der Kamerassysteme wird, umso mehr Informationen drohen, verloren zu gehen.
Mit Enhanced Cockpit Data Assistance (ECDA) haben wir seit dem Jahr 2020 einige Pilotprojekte umgesetzt, die dem chirurgischen Team dabei helfen sollen, die Operation sicher, schonend und möglichst schnell zu absolvieren. So kann das System beispielsweise die typische Textur der knöchernen Schädelbasis am Dach der Siebbeinzellen in den Nasennebenhöhlen erkennen und Alarm schlagen. Denn, wenn der Chirurg diese Struktur erreicht, muss er die Präparation stoppen, um die dahinterliegende Hirnhaut nicht zu verletzen. Im Idealfall verbindet sich diese Information mit den Ortskoordinaten des Instrumentennavigationssystems, welches ebenfalls einen ständigen Abgleich zwischen der Position der Spitze des Instruments und der zuvor definierten Grenze zum Hirn vornimmt. So resultiert eine dreifache Sicherheit, die mit dem Wissen und der Erfahrung des chirurgischen Teams ergänzt wird. Eine ähnliche Anwendung haben wir für die Erkennung des Gesichtsnervens bei der Operation im Felsenbein (Mastoidektomie) umgesetzt. Dabei hilft die Erkennung nicht nur durch einen Hinweis, sondern -bei Unterschreiten einer Distanz- auch durch einen Alarm.
Interessant sind auch die Ergebnisse der automatischen Blutungswarnung. Zahlreiche Hinweise im Video lassen während der Operation der Nasennebenhöhlen voraussagen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Minuten zu einer Blutung kommt. So ist beispielsweise die Summe der Verletzung kleiner Kapillaren ein solches Indiz, aber auch der parallel ansteigende Blutdruck. Das ECDA kann dem Operateur helfen, sich auf solche Situationen einzustellen und beispielsweise blutstillende Maßnahmen vorzunehmen oder vorzubereiten.
Die Bildmustererkennung basiert auf maschinellem Lernen. Mit jedem zusätzlichen Zyklus einer Klassifikation wird das System genauer. Die steigende Rechenleistung erlaubt zudem eine Analyse in quasi Echtzeit. Es sieht alles danach aus, dass ein intelligenter Mitbeobachter in Zukunft seine Augen auch dort haben wird, wo der Operateur und das chirurgische Team überfordert wären.