Die Idee einer robotergeführten Operation begeisterte auch lange Zeit die HNO-Welt. Wäre es nicht vorstellbar, dass ein Roboter ganz alleine den Weg von der Haut durch das Felsenbein bis zur Hörschnecke bohrt und so ein Cochlea Implantat gesetzt werden kann? Technisch machbar, war der Aufwand der individuellen Planung und Überwachung zum Schutz des Gesichtsnervens und des Gleichgewichtssystems so groß, dass dieses Verfahren nie den Einsatz in der Breite gefunden hatte. Oder die Idee, Tumore im Rachen mit einem Roboter entfernen zu können? Dieses Vorhaben scheiterte schon eher an der Technik, den die Weichteilverschiebungen, die eine ständige Rekalibrierung zur Folge hätten, machten das Verfahren unbrauchbar. Man hatte es in der HNO-Chirurgie also entweder mit einem unpassendem Objekt der Roboteraktion oder einer Art von "Over Engineering" zu tun.
Generell hat die Medizin mit einer Unschärfe in der Definition der Robotik zu kämpfen: häufig wird der Einsatz großer Maschinen mit einem Roboter gleichgesetzt, auch wenn z.B. das vielleicht erfolgreichste System da Vinci kein Roboter, sondern ein Telemanipulator ist. Also ein System, welches die Bewegungen der menschlichen Hand übersetzt und in den Tiefen des Körpers umsetzen kann. Hat der da Vinci Telemanipulator die Welt der Urologie tatsächlich verändert, war er für die HNO bis heute nur für experimentelle Anwendungen geeignet.
So kam die Idee auf, die "soft Robotics" auf die Möglichkeiten der Mittelohr- und Nasennebenhöhlenchirurgie umzusetzen. Seit 2014 waren die notwendigen Voraussetzungen bereits vorhanden: chirurgische kraftgetriebene Instrumente, die mit Hilfe hochgenauer Navigationssysteme getrackt werden können; hochauflösende Röntgendaten, welche alle notwendigen Details zu den Risikostrukturen lieferten und eine Organumgebung, die knöchern beschaffen und deshalb steif war. Es fehlte also nur noch eine Art "intelligenter" Zentrale, welche bei Erreichen der vorher festgelegten Grenzen, z.B. am "Fazialiskanal" den Chirurg informiert und das Instrument herunterregelt. Prof. Tim Lüth hatte bereits Jahre zuvor an der Charite Berlin die Idee von Navigated Control zum Patent angemeldet. Damit konnte ein beliebiges Instrument in den Regelkreis eingebunden und gesteuert werden, ohne dass der Chirurg es aus der Hand legen müsste.
Nach 2 Jahre Vorbereitung konnten ab 2014, gemeinsam mit dem Team von Prof. Tim Lüth die ersten routinemäßigen Eingriffe mit einem navigiert-kontrollierten Bohrer gestartet werden, der vor Erreichen einer kritischen Distanz zum Gesichtsnerven, zum Gleichgewichtssystem und zur Hörschnecke die Drehzahl verringerte und schließlich stoppte. So konnten Schäden durch Hitze oder direkten Kontakt des Bohrers mit den empfindlichen Strukturen vermieden werden. Als Chirurg fühlt man die Unterstützung durch Navigated Control sehr deutlich: entfernt man sich aus dem zuvor festgelegten Arbeitsbereich, warnt zunächst ein lautes akustisches Signal. Bewegt man das Instrument dann versehentlich weiter in eine falsche Richtung, wird die Drehzahl des Bohrers reduziert, bis dieser schließlich stoppt. Es war sehr viel Feintuning bei der Einstellung der Parameter zum "Herunterregeln" des Bohrers erforderlich, damit dieses nicht als unangenehmes "Reißen" oder "Abschalten" empfunden wurde. Als diese Einstellungen passten hatte der Operateur tatsächlich das Gefühl, von einem "Soft Roboter" geführt und unterstützt zu werden. Dabei ist die Genauigkeit von Navigated Control so groß, dass theoretisch die komplizierten Eröffnungen am Mittelohr oder der Stirnhöhle auch ohne optische Kontrolle möglich wären. Selbstverständlich wird in der Praxis nicht auf diese gewohnte Form der Orientierung verzichtet und Navigated Control bleibt nur für den Fall der Fälle in Bereitschaft.
Das nachfolgende Bild zeigt den navigiert-kontrollierten Bohrer bei der Chirurgie des Felsenbeins zur Behandlung einer chronischen Mittelohrentzündung. Der Chirurg führt den Bohrer wie gewohnt. Navigated Control unterstützt die Präparation im Hintergrund und wird nur aktiv, wenn der Operateur die zuvor programmierten Grenzen der Präparation verlässt.