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Medizin ist kein Spielplatz für Excel-Unternehmer

Gero Strauss • 17. April 2023

... denn, Medizin ist mehr als Betriebswirtschaft

Die Erfahrungen bei dem Verkauf von Kopfzentrum haben gezeigt, dass ein bis dahin durchaus erfolgreicher "Mittelstand-Champion" die Komplexität von medizinischen Anbietern im Allgemeinen und die Besonderheiten der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland im Speziellen nicht verstanden hat. Die typischen Instrumente bei Unternehmensübernahmen funktionieren nicht, vor allem weil weitere Beteiligte (unsichtbar) mit am Verhandlungstisch sitzen. Nachfolgend sind die wichtigsten Konfliktfelder erwähnt, die im Ernstfall zu einem wirtschaftlichen Totalausfall führen können:


Medizin ist kein Business, sondern eine hoch regulierte Dienstleistung

Medizin soll in Deutschland keine Frage des wirtschaftlichen Status sein. Deshalb gibt es für die GKV keine freie Preisbildung für medizinische Leistungen. In einem demzufolge überwiegend planwirtschaftlichen System werden Leistungen und Preise vom Dritten ("Gemeinsamer Bundesausschuss") festgelegt. Der Markt hängt an diesen Entscheidungen und reagiert ausschließlich in dessen Rahmen. Um Auswüchse des Systems zu vermeiden, gelten außerdem eine unglaubliche Zahl an Regulierungen. Angefangen von dem Zulassungssystem, über Budgets oder Zertifizierungen sollen kaum noch überschaubare Modelle dazu beitragen, das System bei immer mehr Leistungsanspruch bezahlbar für alle zu halten. Selbst die Regisseure dieser Systems (z.B. KV) geben zu, dass Ihnen die Komplexität der Regulierung oftmals nicht einmal eine realistische Folgenabschätzung erlaubt. Wie in jedem planwirtschaftlichen System führt dies auf Dauer zu wechselseitigen Abhängigkeiten und einer extremen Unbeweglichkeit aller Beteiligten. "Der Finanzinvestor kann verkennen, dass er in diesem Gerüst kaum Möglichkeiten hat, Effizienzpotential (Skalierung, Standardisierung, Portfoliooptimierung) zu nutzen, diese sind schlicht nicht gewünscht. Es benötigt schon sehr erfahrene und mutige Entscheider, die die schwierige Balance zwischen dem Anspruch eines verhältnismäßigen Gewinns und den Vorgaben des Systems leisten können." [Gero Strauss]


Die Finanzierung der Leistungen erfolgt treuhänderisch aus Solidarkassen und Subventionen

Eine weitere Folge des deutschen Systems der "Versicherung für Alle" ist das Modell der Solidargemeinschaft. Selbstverständlich fordert diese Gemeinschaft, dass auch auf Ausgabenseite moderat gewirtschaftet wird. Dazu sind in letzter Zeit Forderungen laut geworden, welche die Rendite für medizinische Anbieter -wie auch immer diese definiert ist- auf keinen Fall über 10% sehen bis hin zu ernsthaften Meinungen, dass Anbieter in dem GKV-System überhaupt keine Gewinne erwirtschaften sollen. Wie man es dreht und wendet, alleine das o.g. Gerüst der Regulierung führt dazu, dass medizinische Anbieter beim Einhalten aller Vorgaben zwangsläufig auch einen sehr engen Korridor für das wirtschaftliche Ergebnis zugewiesen bekommen. "Der Finanzinvestor kann deshalb die üblichen Maßnahmen der Gewinnsteigerung nicht einsetzen. Das wird spätestens dann klar, wenn Investoren teuren Kapitaldienst und Berater über den Betrieb "ziehen wollen". Mag dieses dubiose Vorgehen in anderen Industrien bei genügend hoher Nachfrage und Exklusivstellung des Produkts vorübergehend funktionieren, ist es für die vertragsärztliche Versorgung quasi ausgeschlossen." [Gero Strauss]


Medizin hängt an den Mitarbeitern

Auch wenn einem Mantra gleich wiederholt wird, dass die "Mitarbeiter das wichtigste Gut" seien, so zeigt sich nach der Übernahme durch einen Finanzinvestor ein eklatanter Fehler, wenn bis zu 50% der Mitarbeiter und bis zu 80% der Ärzte den Betrieb unter dessen Führung verlassen. Die Expertise von HNO-Ärzten im vertragsärztlichen Bereich lässt sich eben nicht einfach durch "andere HNO-Ärzte" ersetzen. Gerade wegen der eingangs geschilderten Besonderheiten sind Klinik-Ärzte oft völlig anderen Herausforderungen gegenübergestellt und auch anders motiviert. Die Ausbildung, das Heranziehen von Ärzten, die geeignet sind, in einem MVZ verantwortlich zu arbeiten, dauert Jahre. Einen solch massiven Weggang zu verkraften ist unmöglich. Vor allem wenn man dabei die Personalkosten für eine nachhaltige Entwicklung im Blick hat und nicht nur auf kurzfristige "Schmerzensgeld"-Zahlungen setzt. "Für den Finanzinvestor bedeutet dies, dass er -unabhängig von den tatsächlichen vertraglichen Lösungen- eine Partnerschaft mit der bestehenden Belegschaft eingehen muss, wenn er den Betrieb erfolgreich übernehmen möchte. Verkennt er diesen Umständen, fängt er schnell bei Null an und kann die erforderliche Zeit bis zum Verlust der Lizenzen und Konzessionen nicht überbrücken. Denn er übersieht, dass der Vertrag mit den Krankenkassen genau diese Sicherstellung umfasst. Stellt er diese nicht sicher, sorgt in Zukunft ein anderer Anbieter dafür." [Gero Strauss]


Betriebsführung in einem MVZ kann überraschen

Die Idee, dass Mediziner in dem vertragsärztlichen System gleichzeitig volle wirtschaftliche Verantwortung übernehmen, war nur für das traditionelle System der Einzel- oder Gemeinschaftspraxen gedacht. Wie sollte ein Arzt mit einem abgeschlossenen Medizinstudium und einer Facharztausbildung auch ohne jedes betriebswirtschaftliches Wissen auch mehr leisten? Alleine die Erfordernisse einer Kapitalgesellschaft sind für die meisten Ärzte fremd. "Ein Finanzinvestor muss also die Möglichkeit der Due Diligence vor allem nutzen, um die Besonderheiten in solchen Betrieben, wie z.B. Gesellschafterdarlehen, fehlende Rücklagen, interne Verrechnungen zu begreifen und später anzupassen. Kann er diese Aufgabe nicht leisten, kann ein Excel-Unternehmer schnell von einigen dieser Umstände überrascht werden." [Gero Strauss]


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