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Gentests & HNO

Gero Strauss • 4. Juni 2023

Der Bauplan des Lebens auf dem Weg zum Erfolgsschlüssel?

Proteine sind die Bausteine für alles, was unseren Körper ausmacht: Haare, Haut, Auge, Ohren, Herz, Lungen, etc. Diese Proteine wiederum werden durch 19.969 Gene kodiert, die mit 3 Milliarden Basenpaare der DNA auf 46 Chromosomen alle Merkmale eines menschlichen Körpers beschreiben.


Ist es tatsächlich so, dass wir mit den Genen unseren Körper mit all seinen Facetten beschreiben und Krankheiten, quasi nicht-invasiv feststellen können?


Als im Jahr 2003 alle Gene beschrieben waren, ruhten die Hoffnungen auf der besseren Erklärung, Vorhersage und Behandlung von Erkrankungen. Diese Euphorie, die unter Genbiologen immer schon umstritten war, ist inzwischen einer Ernüchterung gewichen. Denn, zwischen dem DNA-Bauplan und der tatsächlichen Ausprägung von Gewebe und Organen passiert so viel, dass das Ergebnis weit von den Anlagen abweichen kann. Trotzdem hat die Genbestimmung große Potentiale, solange folgende Einschränkungen berücksichtigt werden:


- Die Zuordnung von Genen für bestimmte Organe steht noch ganz am Anfang. So sind Hunderte bis Tausende Gene für einzelne Organe zuständig, die aber erst in einer ganz bestimmten Kombination Sinn machen. Diese eigentlichen Genkombination für Organe sind im wesentlichen noch immer unbekannt. Statt dessen sind einige Signal-Gene identifiziert, die mit ausgewählten Anlagen und Erkrankungen korrelieren können. Hier liegen noch enorme Forschungsaufgaben vor der Wissenschaft.

- Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte genetische Anlage auch zur Ausprägung einer bestimmten Anlage oder Erkrankung führt, variiert enorm. Die komplizierten Mechanismen bei der Umsetzung des Bauplans, aber vor allem die sonstigen Einflussfaktoren machen die Vorhersagewahrscheinlichkeit auf der Grundlage des DNA-Bauplans teilweise sehr unsicher.


In der HNO-Heilkunde sind momentan folgende Indikationen für Genbestimmungen als hilfreich einzuschätzen. Diese Übersicht ist nicht abschließend und muss ständig ergänzt und überarbeitet werden:


  • genetische (angeborene / hereditäre) Innenohrschwerhörigkeit: Die Forschung hat eine große Anzahl der Gene identifiziert, welche für die Vererbung von Schwerhörigkeit und Taubheit verantwortlich sind. Besonders erwähnenswert ist dabei die GJB2 Mutation, die Gene POU3F4, GATA3, WFS1, die Connexin-Familie. Derzeit ist jedoch keine kausale Therapiemöglichkeit bekannt. Je nach Ausprägung der Schwerhörigkeit bleiben die bekannten Behandlungsmöglichkeiten vom Hörgerät bis zum Cochlea Implantat. Das Wissen über genetische Ursachen kann Einfluss auf die Beratung des Patienten und die Erwartungshaltung an den Verlauf der Schwerhörigkeit haben.
  • chronische Sinusitis: es gibt Hinweise, dass das BMP4-Gen die Anlage der Nebenhöhlen beeinflusst. Die praktische Bedeutung ist allerdings gering. Denn auch in diesem Fall gilt, dass bisher keine kausale Therapie bei einer Anlagestörung möglich wäre. Und die Diagnose einer solchen Störung mit einem hochauflösenden Röntgenbild viel genauer ist, als die Wahrscheinlichkeitsabschätzung aus dem DNA-Bauplan.
  • Hautalterung: Gene für die Produktion von Matrix-Metalloproteinasen, Elastin, Kollagene oder SIRT-Gene können mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit korrelieren, dass unsere Haut schneller altert. Allerdings wird auch hier das momentane Dilemma der Genetik für die Praxis sichtbar: andere Faktoren wie Sonneneinstrahlung, Rauchen, Ernährung, Lebensstil und Hautpflegegewohnheiten können die Haut wesentlich und unabhängig von der genetischen Anlage beeinflussen.



Bei der Beurteilung der Genbestimmung für die HNO zeigt sich ein Konflikt, der die Rolle der Genetik im Moment für die praktische Medizin, nicht nur in der HNO, sehr einschränkt: genetische Faktoren sind nur ein Teil des komplexen Puzzles unseres Körpers, seiner Organe und Funktionen. Andere Faktoren können unabhängig von diesem Bauplan ganz entscheidende Veränderungen bewirken und den Wert der Genbestimmung mindern. Die genetische Veranlagung legt eben nur die Grundlage fest, aber individuelle Unterschiede und Umweltfaktoren beeinflussen den endgültigen Zustand signifikant. Der menschliche Körper in seinem Aufbau und Funktion, der ständigen Regeneration und den Alterungsprozessen ist viel komplexer. Hier reihen sich die DNA-Tests als einigermaßen neue Maß- und Vorhersagemethoden ein.


Der Nutzen von DNA-Tests ohne ärztliche Begleitung ist auch deshalb umstritten. Es gibt Bedenken hinsichtlich der Aussagekraft und Genauigkeit dieser Tests, die jedoch trotzdem breit beworben werden. Die Qualität und Zuverlässigkeit der Ergebnisse können variieren, und es ist unklar, wie gut die angebotenen Empfehlungen tatsächlich auf individuelle Fragestellungen zugeschnitten sind.

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