Deutschland ist das Land der Krankenhausbetten. Statistisch stehen 1.000 Einwohnern ständig 6 Krankenhausbetten zur Verfügung. In den USA und Schweden sind es 2.8. Deutschland verfügt also über mindestens doppelt so viele Krankenhausbetten pro Einwohner als die allermeisten Länder der Welt. Natürlich sind die Menschen in Deutschland nicht mehr oder schwerer krank als in anderen Ländern.
Deutschland bietet jedoch durch die regulierende Rolle des Staates, der Länder und Kommunen einen Anreiz, viele Krankenhausbetten zu betreiben. Jedes Bett, welches erfolgreich im Bettenplan der Länder aufgenommen wird, wird auch großzügig finanziert. Um diesen Zustand zu verteidigen, müssen diese Betten jedoch auch ausgelastet sein. Das medizinische System in Deutschland ist deshalb seit sehr langer Zeit darauf ausgelegt, relativ häufig eine medizinische Erkrankung unter stationärer Betreuung zu planen und durchzuführen. Bereits in der Ausbildung der Ärzte, die später die Indikation und Organisation der Eingriffe übernehmen, wird der Weg zur überwiegend stationären Betreuung eingeschlagen. So ist es nachvollziehbar, weshalb für viele Ärzte -sowohl in der Praxis als auch im Krankenhaus, sowohl als Einweiser als auch als Behandler-, aber auch für die Patienten es unvorstellbar ist, dass beispielsweise die nachfolgenden Eingriffe in den meisten Ländern der Welt ambulant erbracht werden: Gelenkersatzoperationen (z. B. Hüft- und Knieersatz), Kataraktoperationen (Grauer Star), Mandelentfernung (Tonsillektomie), Nasennebenhöhlenoperationen (FESS), Mittelohroperationen, Cochlea Implantate,, Gallenblasenentfernung (Cholezystektomie), Leistenhernienoperationen u.v.m. Bei der Beantwortung der Frage, ob stationär oder ambulant muss also berücksichtigt werden, dass in Deutschland der überwiegende Teil der Beteiligten wirtschaftlich und strukturell an einer Auslastung der Klinikbetten interessiert sind. Medizinische Gründe können dabei, schon alleine aus den statistischen Vergleichszahlen, nicht ausschlaggebend sein.
Eine zweite Ursache für die Bevorzugung einer Behandlung im Krankenhaus mit einer oder mehreren Übernachtungen ist in einer veralteten Sicht auf die tatsächlich notwendige Überwachung nach einem Eingriff. Waren noch vor 30 Jahren meist große Zugänge mit einem entsprechenden Trauma, Blutverlust, Infektionsrisiko und den entsprechenden Komplikationsrisiken in den ersten Tagen nach OP zu berücksichtigen, so haben sich die Eingriffe heute, besonders wegen der endoskopischen Techniken, drastisch verändert: kleinere Zugänge und ein deutlich geringeres Gewebetrauma führen zu deutlich geringeren Komplikationsrisiken und einer schnelleren Erholung des Patienten. Die Kompliziertheit, die Komplexität oder das Organ an sich ist schon lange kein Kriterium mehr dafür, wie lange die tatsächliche Überwachung unter den Bedingungen einer Krankenhausstation erforderlich ist. Dies betrifft auch die Gleichsetzung von ambulanter Organisation und einfachen Eingriffen. Diese Gleichsetzung ist längst falsch, denn auch komplizierte Eingriffe können heute dank modernen Techniken und einer guten Organisation ambulant nachbetreut werden.
Hinzu kommt, dass mit dem Personalmangel und finanziellen Druck die Betreuung auf der "Normalstation" die medizinische Betreuung gar nicht so intensiv sein kann, wie sich manche vorstellen. Eine Krankenschwester auf Station für 30 Patienten, eine Visite am Morgen ist in vielen Fällen Realität. Hinzu kommen krankenhaustypische Risiken, wie eine Infektion mit den besonders gefährlichen Krankenhauskeimen oder das Risiko einer Embolie durch die Immobilisierung. Diese Betreuungsintensität der Krankenhaus-Station und noch viel mehr kann heute mit Videokonsultationen, rufbereitem Personal und OP-Team, Gesundheits-Gadgets zur Bestimmung der Vitalparameter, vorbereitete Medikation, Chat und Telfonie sowie Partnerkliniken auch dann realisiert werden, wenn der Patient in seiner gewohnten Umgebung zu Hause von seiner Familie und/oder Freunden umsorgt wird.
Die Frage nach einer stationären oder ambulanten Nachsorge ist deshalb in Deutschland noch immer sehr von nicht-medizinischen Gründen beeinflusst. Es wird empfohlen, sich vor allem an der Risikowahrscheinlichkeit der Behandlung und der Erfahrung des Teams mit ambulanten Betreuungskonzepten zu orientieren. Es bleibt zu hoffen, dass durch Reformen im Gesundheitssystem der falsche Anreiz nach Krankenhausbetten sinkt und das eingesparte Geld für die Versicherten genutzt werden kann.